Cannabisblüte muss in die Medizin

Der Allgemeinmediziner Kurt Blaas ist seit zwanzig Jahren auf Cannabismedizin spezialisiert. Wir haben mit ihm über die Gesetzeslage, Vorzeigeländer und die Vorzüge natürlicher Cannabinoide gesprochen.

Die wichtigsten Themen im Überblick:

  • Natürliche Cannabinoide wirken besser und breiter als chemische Substanzen.
  • Die Cannabisblüte besitzt rund 80 verschiedene Cannabinoide mit unterschiedlichsten Wirkungsspektren und lässt sich für therapeutische Zwecke einfach verwenden. Wird die Blüte erlaubt, können Apotheker unkompliziert und leistbar ein Extrakt herstellen.
  • Hanfsorten mit einer bestimmten Wirkstoffzusammensetzung können heute standardisiert gezüchtet, aufgezogen und vermehrt werden. Damit ist es problemlos möglich, daraus ein Extrakt herzustellen, das sich sehr genau einsetzen und dosieren lässt.
  • Vorzeigelänger im Umgang mit Medizinalhanf sind die Niederlande und Kanada.


Sie setzen seit rund 20 Jahren auf Cannabis in der Medizin. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Meine Patienten möchten etwas, das gut wirkt und keine Nebenwirkungen hat. Durch eine genaue Auslese der Cannabissubstanzen und unter medizinischer Anleitung ist das heute problemlos möglich. Gerade natürliche Cannabissubstanzen lassen sich viel besser einsetzen als chemische Substanzen. Tees und Tropfen aus natürlichen Cannabissubstanzen sind sehr gut verträglich und einfach in der Anwendung, gerade bei älteren und chronischen Patienten. Wir haben ein eigenes Cannabinoidsystem im Körper, das sehr gut auf die natürlichen Cannabinoide abgestellt ist. Natürliche Cannabinoide wirken besser und breiter.

Worin liegt der Vorteil bei der ärztlichen Anwendung natürlicher Cannabinoide?
Eine natürliche Substanz ist dem menschlichen Körper und seinen biologischen Abläufen näher als eine rein chemisch produzierte Substanz. In Studien mit rein synthetischen Cannabinoiden wurde zudem gezeigt, dass Nebenwirkungen auftreten können, die bei natürlichen Cannabinoiden nicht auftreten.

Warum wird natürliches Cannabis zur medizinischen Behandlung in Österreich nicht legalisiert?
In erster Linie wegen der Single Convention (UN-Konvention gegen narkotische Drogen) aus den 70er-Jahren, die von der WHO eingeführt wurde. Sie besagt, dass Cannabis als Pflanze weder im Freizeit- noch im medizinischen Bereich angewendet werden darf. Der Suchtkontrollrat der UNO (International Narcotics Control Board) beeinflusst die Gesetzgebung der nationalen Regierungen. Der österreichische Gesetzgeber glaubt hier, alles richtig zu machen, und will korrekt sein, zum Nachteil von Forschung und Patienten. Cannabinoide sind keine Heilsbringer, aber sie wirken sehr oft ausgezeichnet, und dass ohne belastende Nebenwirkungen. Diesen Umstand negiert der Gesetzgeber.

Wie groß schätzen Sie die Nachfrage nach Cannabismedikamenten?
Derzeit werden in Österreich ungefähr 7.000 bis 10.000 Menschen mit Cannabinoiden behandelt. Die Nachfrage steigt gewaltig, und ich schätze die Zahl jener Patienten, die sich für diese Medizin interessieren, auf 25.000 Menschen. Der Bedarf ist enorm, was fehlt, sind ein neuer gesetzlicher Rahmen und ein leistbares Angebot.

Das in Deutschland hergestellte Dronabinol aus natürlichem THC ist für viele Patienten unerschwinglich. Was macht Dronabinol so teuer?
Der aufwendige Herstellungsprozess und die umständliche Produktions- und Lieferkette. Für die Herstellung muss Tetrahydrocannabinol (THC) aus dem Hanf extrahiert werden, die Extraktion unterliegt wiederum einem Reinigungsprozess. Das Qualitätsprodukt wird durch die vielen chemischen Reinigungsschritte so teuer. Hinzu kommt der Umstand, dass Zwischenhändler das Produkt durch ihre Arbeitsschritte zusätzlich verteuern.

THC hat etwa bei Dronabinol wie alle Monosubstanzen den Nachteil, dass alle anderen potenziell wirksamen Cannabinoide nicht zur Anwendung und Wirkung kommen. Brauchen wir die ganze Blüte in der Medizin?
Ja, wir brauchen die Blüte unbedingt als Rohmaterial, um daraus standardisierte Extrakte mit normierten Werten zu produzieren. Die Cannabisblüte besitzt rund 80 verschiedene Cannabinoide und 500 Inhaltsstoffe mit unterschiedlichsten Wirkungsspektren und lässt sich für therapeutische Zwecke einfach verwenden, sei es in Form von Tropfen, Tees oder als Cannabisbutter. Vernünftig ist auch das Vaporisieren, das Verdampfen und Inhalieren. Rauchen lehne ich ab, weil dadurch Verbrennungsprodukte entstehen, die früher oder später die Lunge angreifen. Wird die Blüte erlaubt, können Apotheker unkompliziert und leistbar ein Extrakt herstellen. Hanfsorten mit einer bestimmten Wirkstoffzusammensetzung können heute standardisiert gezüchtet, aufgezogen und gezielt vermehrt werden. Damit ist es problemlos möglich, daraus ein Extrakt herzustellen, das ich als Arzt sehr genau einsetzen und dosieren kann.

Welche Länder haben aus Ihrer Sicht das Thema Medizinalhanf bisher am besten gelöst?
Ein Vorzeigeland in Europa sind die Niederlande, wo hochqualifiziertes medizinales Cannabis gezogen und in den Apotheken in auf Qualität kontrollierter Form abgegeben wird. Viele Ärzte sind dort in der Anwendung und Dosierung geübt und haben längst gelernt, den Verdampfer für medizinische Zwecke einzusetzen. In Übersee zeichnet sich Kanada durch die Anwendung verschiedener medizinaler Hanfsorten aus. Der Staat betreibt Aufklärung, und tausende Mediziner haben diese Art von Medizin verstanden und geben das, begleitet durch wissenschaftliche Kontrollprogramme, an ihre Patienten weiter.

Was sind die gängigsten Vorurteile gegenüber Cannabis in der Medizin?
Dass Cannabis der Bevölkerung als Einstiegsdroge dient, abhängig macht und in kurzer Zeit die Psyche des Konsumenten verändert. Hier fehlt es an Aufklärung. Fakt ist, dass man längst weiß, dass nur Menschen mit einer Prädisposition zu psychischen Erkrankungen davon betroffen sein können. Wird Cannabis in therapeutischer Dosierung eingenommen, werden keine physiologischen Funktionen gestört oder Organe geschädigt.

Warum ist das Interesse der Pharmakonzerne an Medikamenten mit Cannabinoiden so gering?
Das sehe ich nicht so. Gerade die Debatte und der Verkauf von Cannabidiol zeigen ja, dass es bereits sehr viele, wenn auch kleine, Anbieter gibt, die dieses Medikament in Umlauf bringen. Große Pharmafirmen wie Bionorica und GW Pharmaceuticals wollen mit ihren Produkten auf dem Weltmarkt reüssieren. Letztlich ist das für viele Firmen eine Frage der Wirtschaftlichkeit: Rechnen sich großangelegte Studien zur Produktion von Fertigarzneimitteln aus Cannabinoiden oder nicht?

Welche Gesetzesänderung wünschen Sie sich für Ihre Patienten?
Die Gesetze müssen dahingehend geändert werden, dass im medizinischen Bereich die Zulassung aller Cannabisprodukte – seien sie synthetisch oder natürlich – für Patienten möglich ist. Sehr lohnend wäre etwa Medizinalhanf in der Geriatrie. Aus vielen Studien ist bekannt, dass ältere Menschen von der Wirkung der Cannabisprodukte ungemein profitieren können, etwa in Form von besserer Schlafqualität, Reduktion der Altersdepression, Schmerzlinderung oder Appetitsteigerung und Gewichtszunahme. Cannabisprodukte könnten nach einer Legalisierung und Liberalisierung in Österreich leistbar und vor allem einfach in der Anwendung sein. Genau das wird aber durch die jetzige Gesetzeslage verhindert.

Warum werden Cannabismedikamente von Ärzten noch so spärlich angewendet?
Da liegt zum einen an der jetzigen Ausbildung – im gesamten Medizinstudium wird das Thema Cannabinoide und deren medizinische Anwendungsmöglichkeiten nicht behandelt –, zum anderen sind viele Kollegen schlecht informiert und daher gegenüber einer Therapie sehr voreingenommen. Gerade auf dem Land haben Ärzte trotz guter Erfahrungen mit Dronabinol die Sorge, als „Drogenarzt“ verunglimpft zu werden. Hier braucht es viel Aufklärung und Patienten, die nachfragen und auf eine Veränderung pochen.

Infokasten
Dr. med. univ. Kurt Blaas (58) ist als Allgemeinmediziner und als praktischer Arzt seit 1998 auf Cannabismedizin spezialisiert. Der praktische Arzt behandelt seit zwanzig Jahren in seiner Wiener Praxis Patienten mit synthetischen und natürlichen Cannabinoiden und gilt als Pionier in der Cannabismedizin. Kurt Blaas hat gemeinsam mit dem Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, Thomas Herrmann-Meng, die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin gegründet und ist deren Obmann. Die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (http://www.cannabismedizin.at/ueber-verein) setzt sich dafür ein, dass Cannabis und Cannabisprodukte im Rahmen eines medizinisch begründbaren Bedarfes und nach ärztlicher Verschreibung mit einem einfachen Rezept in jeder Apotheke bezogen werden können. Der Verein plädiert zudem dafür, dass Betroffene oder deren Betreuungspersonen mit entsprechender medizinischer Bescheinigung medizinischen Hanf anbauen, ernten, besitzen und konsumieren dürfen.